Katharina Thöle

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Theorien eines libertären Sozialismus

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Rede zum 8. März 2023 in Aachen

2023-03-09

Dies ist der Text einer Rede, die ich 2023 auf dem Feministischen Kampftag in Aachen für den SDS gehalten habe.

“Genosse Krahl! Du bist objektiv ein Konterrevolutionär und ein Agent des Klassenfeindes dazu!” Mit diesen Worten warf die Romanistikstudentin Sigrid Rüger am 13. September 1968 eine Tomate auf den damals innerhalb des SDS beliebten und im Vorstand aktiven Hans-Jürgen Krahl.

Der SDS, der Sozialistische Deutsche Studentenbund, welcher die zentrale Organisation der westdeutschen Studentenbewegung der 60er darstellt, war vor dem Wurf imstande, eine von Helke Sander, die auf der Delegiertenkonferenz des SDS Delegierte für den Aktionsrat zur Befreiung der Frau war, vorgetragene Rede gegen patriarchalische Tendenzen innerhalb der Bewegung, schlichtweg zu ignorieren. Als Reaktion warf Sigrid Rüger eine Tomate in Richtung Vorstandstisch, um diesen dazu zu zwingen, der Rede Gehör zu schenken. Und, ihre Aktion trug Früchte. Die Konferenz diskutierte nun ernsthaft über eine Resolution zur Problematik, und Medien wurden gleichsam darauf aufmerksam. In Anschluss an die Rede und den Tomatenwurf wurden in vielen Universitätsstädten feministische Frauenräte durch Studentinnen gegründet, die die Zweite Welle in wesentlichen Zügen einläuteten.

An diesem Beispiel können wir sehen, dass Wandel nicht von allein kommt. Irgendetwas muss ihn auslösen. Es reicht nicht, die verschiedenen Arten der Diskriminierung gegen Frauen aufzuweisen, und zu hoffen, dass die herrschenden Kräfte ihre Fehler einsehen und beheben werden. Sei es, dass sie partout nicht wahrhaben wollen, dass irgendetwas falsch sein könnte, sei es, dass sie Diskriminierung bewusst aufrecht erhalten. Irgendetwas muss sie dazu zwingen, die Stimmen der Unterdrückten nicht mehr zu ignorieren.

Jedes Stückchen Freiheit muss ihnen in harten Kämpfen abgerungen werden. Der Status Quo ist vorteilhaft für die Machthabenden. Er ist es, der sie an die Macht gebracht hat und an der Macht hält. Veränderung stellt eine Gefahr für sie dar. Deshalb werden sie alles geben, um Wandel zu verhindern, oder zumindest für ihre Zwecke sich anzueignen. Dem müssen wir uns mit aller Macht entgegenstemmen. Wir können nicht zulassen, dass unsere Bewegung ihre Schärfe verliert, weil sie Angst davor hat, sich mit Mächtigen anzulegen.

Unser Kampf wird ein langer sein. Unser Kampf wird ein harter sein. Es wird Kraft und Ausdauer brauchen, ihn zu führen. Die patriarchale Gesellschaft, gegen die wir kämpfen, wird uns an jeder Ecke zu ignorieren versuchen. Die Reaktion männlicher Berichterstatter auf den Tomatenwurf Rügers kommentierte Ulrike damit, “daß noch erst ganze Güterzüge von Tomaten verfeuert werden müssen, bis da etwas dämmert.”

Eine Tomate reicht nicht. Zwei auch nicht. Drei könnten der Anfang einer Bewegung sein. Um aber weitreichenden Wandel zu erwirken, müssen an jeder Straßenecke Tomaten fliegen. Es liegt an uns, diese in die Hand zu nehmen und auf ein würdiges Ziel zu schmeißen. Wandel kommt nicht von selbst. Er kommt nur, wenn Menschen sich für ihn einsetzen. Es ist an uns, diese Welt zu verändern!