Diese Rede hielt ich am Tag der Befreiung 2025 in Aachen.
Am 02. Mai hat das Bundesamt für Verfassungsschutz die Einstufung der AfD als "gesichert rechtsextremistisch" bekanntgegeben. Seitdem rufen Antifaschist*innen mehr denn je nach einem Verbotsverfahren für diese Partei. Doch auch hier muss man sagen: Es ist zu wenig, zu spät.
Mit einem Verbot der AfD ist der Faschismus nicht besiegt. Das Problem muss an der Wurzel gepackt werden. Und wenn es eine Sache gibt, die wir in den letzten Jahren sehen konnten, dann das: Die Wurzeln greifen tief.
80 Jahre sind vergangen seit der Kapitulation der Wehrmacht. 80 Jahre, in denen sichergestellt werden hätte können, dass sowas wie der Nationalsozialismus nie wieder passieren könne. Aber dies geschah nicht.
Statt die Zeit des NS tatsächlich aufzuarbeiten, war das Nachrkriegsdeutschland mehr daran interessiert, einen performativen Bruch mit dem NS-Regime zu inszenieren, nur um direkt mit verbliebenden Täter*innen einen für den Kalten Krieg gewappneten Staat aufzubauen. Die Führungsriege wurde ersetz, doch das Beamtentum, das Militär, die Rechtsprechung, die Wirtschaft und weitere Bereiche, in denen sich gesellschaftliche Macht anlagerte, blieben größtenteils unangetastet.
Nationalsozialistisches Gedankengut blieb weiterhin im Geist der Bevölkerung veranktert. Die Zeit des Nationalsozialismus wurde nicht reflektiert, sie wurde verschwiegen. Die Gründe für die Entwicklung des Nationalsozialismus, welche sich in der politischen und wirtschaftlichen Krise der Weimarer Republik finden, wurden ignoriert. Und diejenigen, die nicht aus der Geschichte lernen, sind dazu verdammt, sie zu wiederholen.
Im Kapitalismus sind Wirtschaftskrisen in seinen "Boom und Bust"-Zyklen vorprogrammiert. Es ist fundamentaler Bestandteil des Systems der kapitalistischen Anraffung von Geld und Macht, dass ein Zeitpunkt kommt, in dem die Konzentration von Kapital eine solche Ebene erreicht hat, dass die Anraffung erschwert wird. Also werden Preise angehoben, Lohnkosten werden durch Entlassungen gesenkt, und viele weitere Maßnahmen getroffen, um die Profitrate hoch zu halten. Geschäftsführer*innen und Aktionär*innen kriegen Gehälter und Rendite in Millionenhöhe, während gleichzeitig tausende Angestellte entlassen werden. Die Arbeitenden werden in eine Krise geworfen, in eine wirtschaftliche Prekäre, aus der sie nicht mal mehr der Sozialstaat retten möchte. Die Erlösung finden sie in der Verfolgung von Sündenböcken, die ihre Ausbeuter*innen ihnen vorsetzen. Die Arbeitenden werden entlang rassistischer, sexistischer, klassistischer Merkmale geteilt und gegeneinander aufgehetzt, um die wahre Ursache der Probleme, die Klasse an Kapitalist*innen und ihrer Nutznießer*innen in der Politik und sonstwo, zu verstecken. Damit ist der Grundgedanke des Faschismus gesät.
Der Faschismus entsteht aus dem Verlangen der prekären Arbeitenden, Veränderung zu bewirken. Der Faschismus erkennt richtig, dass etwas an den bestehenden Verhältnissen nicht stimmt. Er erwächst aus den Sehnsüchten, dass eigene Leid zurückzugeben, die Schuldigen für dieses Leid ausfindig zu machen und sie zu bestrafen. Aber anstatt die Probleme tatsächlich zu benennen und anzugehen, kaschiert er sie und leitet die Aufmerksamkeit auf einfache Ziele um. Dadurch ist er verlockend sowohl für die Arbeitenden, die nicht vor der großen Aufgabe stehen, Mächtigen entgegentreten zu müssen, sondern vielmehr den sowieso schon sozial schwachen, aber auch für die Kapitalist*innen, die so fein aus dem Fadenkreuz entschwinden können. Es ist aus diesem Grund, dass, damals wie heute, der Faschismus von breiten Teilen der Wirtschaft unterstützt wird, oftmals auch den eher mittelständischen Teilen, die sich selbst gegen die Großkapitalist*innen sowie gegen linke Kräfte durchzusetzen versuchen. Im Faschismus lässt sich die Wut einer Nation bündeln und ableiten, sodass sie nicht ihre eigentlichen Ziele trifft.
Und wo sind wir heute? Eine rechtsextreme Partei, manche würden richtigerweise sagen, eine faschistische Partei, sitzt als zweitstärkste Kraft im Bundestag. Die sonstige Parteienlandschaft versucht sich, der Rhetorik der Rechten anzupassen, um dadurch irgendwie Stimmen zu gewinnen. Und währenddessen wird nichts an der tatsächlichen Lage getan. Nein: vielmehr wird das System, der Grund für die Misere, verteidigt, statt es zu kritisieren. Die reellen wirtschaftlichen Probleme, die die Menschen haben, werden auf Minderheiten geschoben, statt ihre Ursprünge zu benennen. Das Problem ist nicht, dass wir vor Krieg und Verfolgung Geflüchteten Schutz bieten. Das Problem ist nicht, dass wir queeren Menschen Rechte geben. Das Problem ist nicht, dass wir denen, die nicht Arbeiten können, ein annähernd würdiges Leben ermöglichen. Das Problem ist der Kapitalismus, der Menschen an den Rand der Verzweiflung führt! Das Problem sind die Kapitalist*innen und ihre Handlanger, die für den eigenen Profit mit den Leben von Menschen spielen!
Als antifaschistische Bewegung müssen wir gleichzeitig eine linke Bewegung sein. Wir dürfen nicht der Versuchung wiederfallen, die Fehler des momentanen Systems zu kaschieren oder zu rechtfertigen, wie es gerne getan wird, wenn Rechte diese Fehler anprangern. Denn das, was den Faschismus so gefährlich macht, ist, dass er auf einem Funken Wahrheit beruht: Der Status Quo ist scheiße. Es gibt eine kleine Gruppe an Menschen, die den Rest der Bevölkerung ausbeutet. Doch sind diese nicht die vermeindlich Fremden, oder die queeren Menschen, oder die "Sozialschmarotzer", die versuchen, mit ihrem Bürgergeld über die Runden zu kommen. Es sind die Superreichen, die von der Arbeit anderer leben, und ihre Gefolgsleute in der Politik, die ihnen in die Karten spielen. Als Antifaschist*innen müssen wir dies anerkennen und anprangern. Nur so können wir dem Faschismus Einhalt gebieten: In dem wir eine wahre Alternative bieten. Eine Alternative, die den Menschen Lösungen statt Sündenböcke bietet.