Über Josef Stalin und den Stalinismus lässt sich einiges sagen, überwiegenderweise Negatives. Ich würde den Kritiken eine weitere, wenn auch polemisch gedachte, hinzufügen: Die Politik Stalins bzw. des Stalinismus ist im Wesentlichen sozialdemoktratisch. Scharf formuliert: Stalin war ein Sozialdemoktrat. Und damit sei nichtmal gemeint, dass Stalins sich über Lenin auf die SPD des Kaiserreichs bezieht. Nein. All jene Punkte, die radikale Linke an der Sozialdemokratie kritisieren, finden sich auch bei Stalin wieder.
Zum Verständnis biete ich folgende Charakterisierung der Sozialdemokratie an: Die Sozialdemokratie unterscheidet sich von dem Rest der gesellschaftlichen Linken vor allem in folgenden Punkten: Ihre Ablehnung der Revolution und ihr Versuch, den Kapitalismus so zu reformieren, dass er für "ertragbar" wird. Die These: Dies trifft auch auf den Stalinismus zu.
Tatsächlich war die Sowjetunion unter Stalin ein kapitalistischer Staat. Dieser Unterschied sich zwar vom westlichen Kapitalismus, aber nicht in wesentlichen Aspekten. Lediglich war an Stelle einer vergleichsweise großer Anzahl an Kapitalist*innen, die zumindest branchenübergreifend irgendwie in Konkurrenz zueinander standen, ein einziger Kapitalist mit absolutem Monopol getreten: Der Staat. Dies war ursprünglich der Verdienst Lenins, doch wurde die Kapitalisierung des Staates unter Stalin vorangetrieben und sogar als wesentliche Eigenschaft des Sozialismus erklärt. Arbeitszwang, Kapital, Aneignung des Mehrwerts, all dies waren Bestandteile des "Sozialismus" stalinistischen Typs. Der Staat war nunmehr der vollends realisierte ideelle Gesamtkapitalist, der die Produktion steuerte und die Arbeitenden unterdrückte.
Schauen wir uns auch das stalinistische Modell von Revolution an. Tatsächlich gibt es keins. Die Revolution wird für beendet erklärt (und tatsächlich war sie auch durch den Sieg der konterrevolutionären Bolschewiki beendet worden), es sei jetzt Zeit gekommen für die Entwicklung des "Sozialismus in einem Land" (Womit der Nicht-Sozialismus der UdSSR als Sozialismus deklariert wurde). Zwar entwickelte die Sowjetunion keinen Isolationismus, doch war dies nicht aus dem Impuls gewachsen, die Befreiung des internationalen Proletariats voranzutreiben, sondern vielmehr, um es sich Untertan zu machen und der eigenen Staatsmaschinerie hinzuzufügen, sowie der Ausweitung der eigenen geopolitischen Macht im Allgemeinen zu fördern. So annektierte die Sowjetunion die Baltenstaaten, führte einen blutigen Krieg gegen Finnland zur Annektion von Pufferzonen im Grenzgebiet, versuchte mehrmals, Polen zu erobern nur um es schließlich in Kollaboration mit dem Dritten Reich zu tun (tatsächlich waren Gespräche zur Bildung einer Achse Berlin-Moskau am Laufen, die schließlich an der Inkompabilität Hitlerscher und Stalinscher Ambitionen scheiterte – soviel zum "Antifaschisten Stalin"), annektierte nach Kriegsende weitere Gebiete und installierte autoritäre Puppenregierungen in vielen weiteren, putschte genauso wie die us-amerikanische Regierung gegen vom Volke erwählte, demokratische, of sogar sozialistische Regierungen zugunsten autoritärer Regime, nur weil sie einfacher zu beeinflussen waren. Inwiefern unterscheidet dies sich von der SPD, die Freikorps nutzte, um Aufstände von Arbeiter*innen niederzuschlagen? Die die Polizei auf Maidemonstrant*innen niederschießen ließ? All dies geschah in der Sowjetunion, all dies geschah unter Stalin. Der Stalinismus ist mindestens genauso, wenn nicht sogar noch mehr, konterrevolutionär als die Sozialdemokratie. Er hat die fruchtbarsten Versuche sozialistischer Revolution sabotiert, attackiert, und zunichtegemacht.
Damit verbunden ist der stalinistische Hang zur Diktatur. Diese war keineswegs die Diktatur des Proletariats. Es war eine Parteiendiktatur mit der Person Stalin an der Spitze. Politische Macht wurde von den Massen entfremdet und einer kleinen Klasse politischer Funktionär*innen zugeschustert. Das Volk wurde unterdrückt, Widerstand brutalst verfolgt und geahndet, politische Gegner*innen gesäubert. Hierin mag tatsächlich ein Unterschied zur Sozialdemokratie liegen. Denn so sehr die Sozialdemokratie auch Teil des Staatengeflechts mit seinen Machtstrukturen und Machtinzentiven wurde, sie behielt doch immer zumindest die Rechtfertigung, dass diese Politik vom Volke für's Volk geschehe bei. Davon kann beim Stalinismus nicht die Rede sein. Es war Politik von Funktionär*innen, für Funktionär*innen. Es war eine Diktatur vom Feinsten, von Arbeiter*innenmacht war weit und breit nichts zu sehen. Bei einer solchen Innenpolitik verwundert dann auch die Außenpolitik nicht mehr – Autoritarismus tut, wie Autoritarismus nunmal tuen muss.